Wir dokumentieren hier eine Pressemitteilung zur Kundgebung am 24.10.2014 und dem zeitgleich stattfindenden Prozess am Amtsgericht Erfurt.
Edit 27.10.2014: Auf linksunten.indymedia.org ist ein Text aufgetaucht, den wir zusätzlich dokumentieren wollen:
Pressemitteilung zum Prozess zu rassistischen Polizeikontrollen
Am 24.10.2014 fand im Amtsgericht Erfurt ein Prozess in Bezug auf eine Kontrolle nach „Racial Profiling“ Schema statt. Der Prozess wurde von einer Kundgebung unter dem Motto „Ein Prozess. Keine Gesellschaft. Ein rassistischer Komplex“ vor dem Gerichtsgebäude begleitet.
Hintergrund: Am 17. April 2014 kontrollierten zwei Beamte der Erfurter Landespolizei auf dem Erfurter Anger zwei Menschen, die sie als „nicht weiß“ bzw. „rumänisch“ konstruiert hatten, während sie alle anderen Personen ignorierten. Der Angeklagte beobachtete das Geschehen, wollte die rassistische Tat nicht unkommentiert hinnehmen und intervenierte. Nach längerer Diskussion fiel dabei auch der Satz: „Ihr seid Rassisten!“, welcher sich auf die deutsche Polizei bezog. Daraufhin stellten die Beamten Anzeige wegen Beleidigung.
Auch am heutigen Prozesstag wurde das rassistische Verhalten der Polizei erneut offenbar. Richterin Niedhammer* hatte zusätzlich zur Personenkontrolle am Einlass zum Justizzentrum – mit Metalldetektor, Taschen- und Personencheck – noch eine weitere, verschärfte Kontrolle durch Polizeibeamte der Landespolizei Erfurt angeordnet. Eine Maßnahme, wie sie nicht einmal zuletzt beim sog. „Erfurter Kunsthausprozess“ (http://www.tlz.de/startseite/detail/-/specific/Provoziert-und-freigesprochen-Erfurter-Kunsthausprozess-naehert-sich-dem-Finale-157536633[¹]) für notwendig erachtet worden war. Die beauftragten PolizistInnen ließen diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen: Ein dunkelhäutiger, deutscher Staatsbürger wurde als einzige Person bei diesen Einlasskontrollen gefragt, ob er eine ansteckende Krankheit hätte. Doch hiermit nicht genug, wurde ein Schwarzer Mensch afrikanischer Herkunft als Einziger genötigt, sich in den öffentlichen Fluren des Justizzentrums bis auf die Unterhose auszuziehen.
Außerdem wurde die Gewaltenteilung zwischen Polizei und Justiz außer Kraft gesetzt, um sich vor der Kritik an Rassismus und einer offenen Auseinandersetzung damit zu schützen. Die Polizei überschritt die gerichtspolizeiliche Anordnung der Richterin und schränkte eigenmächtig Grundrechte ein, indem sie darüber entscheiden wollte, wer an dem öffentlichen Prozess teilnehmen durfte und wer nicht. Auch wurde der Zugang der Presse zum Gerichtssaal erschwert.
In der Gerichtsverhandlung selbst wurde dem Angeklagten durch die Richterin Niedhammer das Wort verboten, als dieser im Rahmen seiner Einlassungen zum Tatvorwurf den alltäglichen Rassismus in deutschen Institutionen thematisierte. Der so von Vornherein zum Schweigen Verurteilte verließ daraufhin konsequenterweise die Verhandlung.
Die hier beschriebenen Übergriffe wurden nicht widerspruchslos hingenommen. Bei den rassistischen Einlasskontrollen wurde vehement eingeschritten. Auf der Kundgebung haben Betroffene im Anschluss an den Prozess den Rassismus in der deutschen Gesellschaft im Allgemeinen und der deutschen Polizei im Speziellen analysiert und kritisiert.
Die Strategie der Verneinung und repressiven Abwehr von Rassismusvorwürfen gegen Polizei und Justiz ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil ist es öffentlich zu einer intensiven Auseinandersetzung und Offenlegung von rassistischen Strukturen gekommen.
Auch in Zukunft werden wir das Auftreten der Polizei kontrollieren und weiterhin konsequent einschreiten, wenn wir hierbei menschenverachtendes Verhalten beobachten sollten.
Bei Nachfragen können Sie sich gern an Herrn Thomas Ndindah (The VOICE Refugee Forum Jena) wenden: mobil +49176 99 621 504 oder per Mail: thevoiceforum{at]gmx.de.
gez.
Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss zum rassistischen Komplex Deutschland
[*]Richterin Niedhammer kann bereits auf aussagekräftige, von ihr verhandelte Fälle zum Thema Rassismus und willkürlicher Polizeirepression verweisen:
http://arge2010.no-ip.org/diskussionen/forum.php?mod=viewthread&tid=3252 und
http://sabotnik.blogsport.de/2014/06/14/aufgabe-der-justiz-ist-der-schutz-von-polizeibeamten-2-pm-der-soligruppe-1708/
Links:
------
[¹] http://www.tlz.de/startseite/detail/-/specific/Provoziert-und-freigesprochen-Erfurter-Kunsthausprozess-naehert-sich-dem-Finale-157536633
Text zum Prozess auf linksunten.indymedia.org:
Intervention bei rassistischer Polizeinkontrolle am Anger wird als „Beleidigung“ am 24.10. vorm Amtsgericht verhandelt
Der Erfurter Anger ist ein Ort der Routine: Lohnabhängige fahren täglich zu denselben Zeiten mit der Bahn vorüber, Bäckereien und Imbisse verkaufen zu denselben Zeiten dieselben Waren, dieselben Nazis tummeln rund um den Platz und Beamt_innen der Landespolizeidirektion durchkämmen die Innenstadt, ähnlich wie ihre Kolleg_innen von der Bundespolizei den Hauptbahnhof, täglich auf der Suche nach Menschen, die dem rassistischen Augenschein nach gegen die Residenzpflicht verstoßen oder keine gültigen Aufenthaltspapieren haben könnten.
Dass dieses Tagesgeschäft im April 2014 von jemandem gestört wurde und die Kontrolle eines Menschen durch die Polizei als rassistisch bezeichnet wurde, konnten die agierenden Beamt_innen offenbar nicht auf sich sitzen lassen und erstatteten Anzeige wegen Beleidigung.
******
Die Abwehrreflexe der Deutschen gegenüber antirassistischer Kritik
sind nicht nur in Erfurt stark ausgeprägt; als ein Landtagsabgeordneter der Grünen am 17.01.2014 im Frankfurter Hauptbahnhof DB-Sicherheitskräfte darauf hinwies, dass die Kontrolle einer Person mit schwarzer Hautfarbe nicht zwangsläufig mit dem Gesicht auf dem Boden und begleitet von Schlagstockhieben vonstatten gehen müsse, wurde er selber mit „Hau ab, du N****r!“ beschimpft und ihm danach sein Handy aus der Hand geschlagen. Aber auch im Thüringer Landtag waren rassistische Kontrollen bereits Thema. So bezeichnete eine Linken-Abgeordnete im Rahmen der Debatte um die Residenzpflicht am 17.06.2011 das aus selbigem Gesetz resultierende Polizeihandeln als „rassistische Kontrollpraxis“. Das Resultat war ein vor Wut brüllender Wolfang Fiedler, rechtsaußen-Innenpolitiker der CDU, eine einstündige Unterbrechung der Sitzung und die Einberufung des Ältestenrats wegen vermeintlicher Beleidigung der Thüringer Polizei.
Die Rechtslage scheint in solchen Fällen zunehmend für die Legitimität antirassistischer Kritik zu tendieren. So konnte z.B. der Ältestenrat des Thüringer Landtags am 17.06.2011 weder eine Rüge noch den Zwang zur Entschuldigung in Richtung der Linken-Abgeordneten aussprechen.
******
Der Vergleich von rassistischen Kontrollen mit „NS-Methoden“
wurde vom Oberlandesgericht Frankfurt im März 2012 für rechtmäßig erklärt. Vorangegangen war diesem Prozess die Anzeige von Bundespolizeibeamten, die sich durch selbige Äußerung eines zu Zugreisenden beleidigt fühlten. Im selben Zusammenhang stellte das Oberverwaltungsgericht Konstanz Koblenz am 29.10.2012 fest, dass Kontrollen durch die Bundespolizei, die einzig aufgrund von äußeren, unveränderlichen Merkmalen durchgeführt werden, gegen das Grundgesetz verstoßen. Dass es die Bundespolizei selber war, die sich in jenem Verfahren beim Kläger entschuldigte und eingestand, dass die Kontrolle von Anfang an rechtswidrig war, scheint im Erfurter Plizeisumpf noch nicht angekommen zu sein.
******
Interventionen bei rassistischen Kontrollen
sind weiterhin ebenso dringend nötig wie selten. Die Angst vor rechtlichen Konsequenzen wird dabei von der Polizei gezielt geschürt. So werden in der Regel im Handumdrehen Platzverweise ausgesprochen, die in fast allen Fällen, in denen sie rechtlich geprüft wurden, rechtswidrig und damit nicht zu beachten waren. Die Erfahrung zeigt, auch konkret in Erfurt, dass Interventionen mit mehreren Menschen, die sich nicht gleich einschüchtern lassen, oft zum Abbruch der Polizeimaßnahme führen. Anhand des Falls von Habibi, der im Rahmen eines Treffens von Geflüchteten und antirassistischen Aktivist_innen von Erfurter Bundespolizist_innen kontrolliert und daraufhin in Abschiebehaft gesteckt wurde, verdeutlicht die verschiedenen und weitreichenden Konsequenzen rassistischer Kontrollen: Habibi war aus einem ungarischen Knast für Geflüchtete geflohen, um in Deutschland Asyl zu beantragen. Die Erfurter Bundespolizei beabsichtigte nach der Kontrolle, ihn infolge eines Haftbefehls nach Ungarn zurück zu verschleppen. Gleichzeitig wurde ein weiterer Aktivist wegen „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“ angezeigt, einzig, weil er sich mit Habibi im Bahnhof aufhielt. Verhindert werden konnte die Abschiebung nur durch eine spontane unangemeldete Kundgebung vor der Wache, während der ca. 20 Personen den Eingangsbereich in der Wache blockierten, Alarm auslösten, ein Gespräch mit Habibi erzwangen, seine Anwältin informierten und ankündigten, bis zu Habibis Freilassung an der Wache zu verharren.
******
Die Verhandlung vorm Erfurter Amtgerichts verspricht gute Unterhaltung,
da die Erklärungen der sich beleidigt fühlenden Beamt_innen, warum sie wen kontrollieren und was daran nicht rassistisch ist, sowohl rechtlich als auch politisch interessant sein dürften. Auf ein gleichwohl neugieriges wie kritisches Publikum sowie eine lautstarke Prozessbegleitung können sich die „geschädigten“ rassistischen ‚Profiler‘ schon mal gefasst machen.
Unabhängig davon, zu welcher Einschätzung das Gericht gelangt, ist es allerdings weiterhin dringend geboten, zusammen mit den Betroffenen der täglichen Routine von Kontrollen, Schikane und Gewalt Strategien zu entwickeln, wie effektiv und solidarisch interveniert werden kann. Da Polizeikontrollen dabei nur einen kleinen Teil der allgegenwärtigen Ausgrenzung ausmacht und auf alle Formen rassistischer Beleidgungen und Übergriffe adäquate Reaktionen und Handlungsmöglichkeiten gefunden werden müssen, sollte die kommende Gerichtsverhandlung als Anlass genommen werden, zusammen mit den von Rassismus negativ Betroffenen die „Erfurter Vielfalt“ an Ausgrenzung und Gewalt öffentlich zu thematisieren, Verantwortliche zu benennen und kollektive Interventionsmöglichkeiten zu erproben.
Kritische Prozessbegleitung am 24.10.2014 ab 8.45 Uhr am Amtsgericht Erfurt, Rudolfstraße 46
– Intervenieren gegen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus jeden Tag